Illustration: Katrin Funcke c/o ART ACT
Eine Frau fühlt sich seit Monaten schlapp und hat Gliederschmerzen. Eine Spezialistin findet heraus, was eine Schönheits-OP damit zu tun hat.
Die Patientin hatte sich vor acht Jahren mit Silikonimplantaten die Brüste vergrößern lassen. Als ich sie kennenlernte, hatte sich die rechte Brust drei Wochen zuvor quasi über Nacht deutlich verformt und in der Größe verdoppelt. Die Mittvierzigerin war besorgt, dass das Implantat verrutscht oder ausgelaufen sein könnte. Sie hatte einen Plastischen Chirurgen konsultiert. Er hatte sie beruhigt und angeboten, die Implantate gegen ein Honorar von 10 000 Euro auszutauschen. Ich untersuchte die Patientin. Die linke Brust hatte etwa Körbchengröße D, die rechte war auf E bis F angeschwollen, beide Brüste waren verformt und verhärtet. Ich fragte nach weiteren Beschwerden. Die Frau erzählte, dass sie seit mehr als einem Jahr unter Knochenund Gliederschmerzen leide. Sie fühle sich zunehmend kraftlos.
Der Hausarzt hatte sie durchgecheckt und erhöhte Leberund Entzündungswerte entdeckt. Im Ultraschall hatte die Leber gesund ausgesehen. Er hatte eine rheumatische Erkrankung vermutet und die Frau zum Internisten geschickt. Doch alle anderen Laborbefunde waren unauffällig gewesen. Der nächste Verdacht des Hausarztes war Gelenkverschleiß, er überwies sie zum Orthopäden. Die Vermutung bestätigte sich nicht. Auch eine mögliche Krebserkrankung ließ der Arzt abklären, denn die Lymphknoten in der rechten Achsel waren geschwollen. Ein Ganzkörper-Scan brachte keinen Tumor zutage. Letztlich hatte niemand den Auslöser für die Kraftlosigkeit und Gliederschmerzen finden können.
Als ich die nun verformten Brüste der Patientin sah, war mir klar, dass ich schnell handeln musste. Bevor ich mich als Plastische Chirurgin niedergelassen habe, hatte ich für mehrere Brustzentren gearbeitet. Zwischen 2008 und 2015 hatte ich einige Patientinnen mit ähnlichen Symptomen getroffen: Die Frauen hatten über Schlappheit, unspezifische Schmerzen, Unwohlsein und geschwollene Lymphknoten geklagt. Allen gemeinsam war, dass ihnen Billig-Brustimplantate der französischen Firma „Poly Implant Prothèse“ (PIP) eingesetzt worden waren. Die Implantate waren kriminellerweise mit Bausilikon statt mit medizinischem Silikon gefüllt gewesen. Das hatte 2010 zum „PIP-Skandal“ geführt. Da der Baustoff sehr aggressiv ist, waren die PIP-Kissen leichter gerissen als herkömmliche Implantate. Das dünnflüssigere Bausilikon war durch die Risse oder direkt durch die Hülle ins Gewebe ausgetreten. Weltweit hatten rund 400 000 Frauen die Implantate erhalten, in Deutschland waren es etwa 5000.
Ich fragte die Patientin nach ihrem Implantatpass. Sie hatte keinen. Ich begann zu recherchieren. Der Arzt, der die Implantate eingesetzt hatte, war im Ruhestand. Im Keller der Praxis fanden seine Mitarbeiterinnen die Akte meiner Patientin. In der Tat hatte sie PIP-Implantate bekommen. Nun war ich sicher, dass auch bei ihr Bausilikon ausgelaufen und für die Beschwerden verantwortlich war. Ich drängte zur Eile – die Frau sollte nicht weiter vergiftet werden. Drei Tage später operierte ich sie. Wie ich vermutet hatte, war der aggressive Füllstoff ins Gewebe gelangt. Durch die Entzündung hatte sich massiv Flüssigkeit angesammelt und die Brüste verformt und vergrößert. Um das klebrige Silikon vollständig zu entfernen, musste ich sehr viel Drüsenund Fettgewebe entfernen. Da es sich um eine medizinische Indikation handelte, übernahm die Krankenkasse die Kosten.
Die Leidensgeschichte hatte schnell ein Ende. Die Blutwerte normalisierten sich, nach sechs Wochen war die Frau schmerzfrei. Ich kontrollierte den Befund in den nächsten anderthalb Jahren regelmäßig, bis das Gewebe komplett ausgeheilt war. Dann baute ich die Brüste mit Eigenfett auf.
Allen, die sich zwischen 2001 und 2010 Brustimplantate haben einsetzen lassen, rate ich dringend, den Implantatpass zu checken – und PIP-Kissen entfernen zu lassen.